Die MSC Oscar ist das zurzeit größte Containerschiff der Welt. Ebenso wie die typgleichen Frachter MSC Oliver und MSC Zoe kann der Megacarrier 19.224 Standardcontainer laden. Nun hat der stählerne Meeresgigant Wilhelmshaven angelaufen und sorgt für Aufbruchstimmung in Deutschlands einzigem Tiefwasserhafen. Hier lesen Sie die TIEFGANG-Reportage!
Auf den ersten Blick, wenn sich die MSC Oscar von Bremerhaven kommend am blassblauen Meereshorizont vor dem JadeWeserPort abzeichnet, sieht das größte Containerschiff der Welt aus wie jeder andere Riesenpott, der auf Elbe, Weser oder Nordsee schippert. Aber je näher der Superfrachter von zwei Schleppern an die Kaje in Wilhelmshaven gedrückt wird, desto deutlicher werden die XXL-Dimensionen des stählernen Meeresgiganten. „Das geht ganz fix jetzt, vielleicht zehn Minuten noch“, schätzt Bastian Borkmeier, zuständig für die technische Infrastruktur beim Hafenbetreiber Eurogate, als die „Oscar“ in etwa 300 Meter Entfernung quer zur Kaje liegt. Immer dichter, Meter für Meter, schieben die Schlepper den Koloss aus 45.300 Tonnen Stahl an die Spundwand, wo ihn die Mitarbeiter des Jade-Dienstes schließlich zwischen zwei anderen Containerschiffen mit Leinen so dick wie Oberschenkel vertäuen. Mit etwa 30 Meter Höhe ragt der massive Schiffsrumpf wie ein schwarzes, fensterloses Hochhaus an der Kaje empor.
Ein Oscar also für den JadeWeserPort. Tatsächlich empfindet man in Wilhelmshaven die Ankunft des mit 395,4 Metern zwar nur zweitlängsten, aber mit 19.224 TEU Ladekapazität größten Containerschiffes der Welt als eine Art Auszeichnung. Entsprechend großer Bahnhof also, alle sind sie gekommen an diesem sonnig-windigen Samstag Anfang März: Hafenbetreiber, Gäste, eine ganze Schar Journalisten, Politiker. „Es waren harte Jahre, aber die Ankunft des weltgrößten Containerschiffes hier in Wilhelmshaven ist ein Symbol dafür, dass es jetzt vorangeht“, sagt ein sichtlich erfreuter Olaf Lies, Wirtschaftsminister Niedersachsens und schwer gefragter Interviewpartner an diesem Tag, am Rande der Pressekonferenz im Terminal House von Eurogate.
Platz für über 19 Millionen Spielzeugautos oder 1,15 Millionen Waschmaschinen
Dort sucht Nils Kahn, Marketingchef der italienisch-schweizerischen Reederei Mediterranean Shipping Company (MSC), nach griffigen Einordnungen der kaum vorstellbaren Warenmengen, die die „Oscar“ laden kann: „Über 19 Millionen Spielzeugautos oder mehr als 57 Millionen
Kleidungsstücke oder 1,15 Millionen Waschmaschinen oder 13,8 Millionen Solarmodule, mit denen man 346.000 Haushalte mit Strom versorgen könnte.“ Weitere Superlative: Das Deck des Schiffes ist so groß wie vier Fußballfelder, und würde man die „Oscar“ senkrecht stellen, würde sie das höchste Gebäude Deutschlands, den Berliner Fernsehturm mit auch immerhin 368 Metern, locker überragen.
Per Reisebus wird der Besuchertross anschließend zur Kaje zurückgefahren. Mikkel Andersen, Geschäftsführer von Eurogate im JadeWeserPort, verteilt eigenhändig grellgelbe Signalwesten und weiße Helme. Ohne die kommt niemand an Bord, Sicherheit geht vor. Die langgezogene Gangway hängt bereits diagonal am Schiffsrumpf der „Oscar“, Matrosen spannen zur Sicherheit noch ein Netz darunter. Unter Dauerpiepen fährt einer der monstergroßen Van-Carrier langsam heran. Es ist zwar ein Festtag im Hafen, gearbeitet wird aber trotzdem. Gut 15 Lascher mit roten Westen und Helmen klettern mit Eisenstangen an Bord, um einige Hundert Container zu entlaschen, die in Wilhelmshaven abgeladen werden. Und die „Oscar“ nimmt an der Jade auch Ladung auf: 40 Kühlcontainer des Unternehmens Nordfrost, beladen mit Schweinefleisch eines Exporteurs aus dem Südoldenburgischen, reisen auf der Jungfernfahrt des Schiffes nach Busan in Südkorea. Noch am Abend des Ankunftstages legt die „Oscar“ Richtung Rotterdam wieder ab.
„Das Schiff kann in jeder Minute ein- und auslaufen“, erklärt Mikkel Andersen von Eurogate die Tideunabhängigkeit des JadeWeserPorts, der 2012 als einziger Tiefwasserhafen Deutschlands für Großcontainerschiffe wie die „Oscar“ mit ihren bis zu 16 Metern Tiefgang gebaut wurde. Diese Unabhängigkeit ist ein Alleinstellungsmerkmal, von dem man sich nach den mageren Anfangsjahren nun die Trendwende in Wilhelmshaven erhofft. Alle zwei bis drei Monate soll die MSC Oscar im Rahmen der neuen Ost-West-Handelsroute „Albatros“ zwischen Asien und Europa zum JadeWeserPort kommen. Auch ein Middle-East-Dienst und drei Zubringerdienste werden ab sofort regelmäßig den Tiefwasserhafen ansteuern.
Zur Crew der „Oscar“ gehören normalerweise nur 24 Seeleute
Der Bordbesuch ist freigegeben: Etwa 40 Frauen und Männer hangeln sich im Gänsemarsch die vom Wind leicht schwankende, weniger als einen Meter breite Gangway hoch. Wer Höhen von gut 30 Metern nicht gewohnt ist, sollte besser nicht nach unten gucken. Und auch im Schiff geht der Anstieg weiter, acht weitere Decks sind es bis zur Brücke. Der Weg führt durch leere Korridore und verwinkelte Flure, vorbei an Lobby-Räumen, der Schiffswäscherei, dem Krankenzimmer, Sauna- und Fitnessraum und Büros. Die Ausmaße des Riesenpotts spürt man auf den engen Gängen und Treppen eher weniger. Nur sporadisch kreuzt ein Matrose den Weg. „Welcome“, lächelt einer und verschwindet auch schon wieder im Bauch des Schiffes. Nur 24 Seeleute sind normalerweise in der Crew, auf der Jungfernfahrt hat die Reederei MSC mit Sicherheitspersonal auf 35 Mann aufgestockt. Das Gros der Besatzung stammt aus Indonesien und dem pazifischen Inselstaat Samoa, die „Oscar“ fährt unter der Flagge von Panama.
Oben auf der Brücke ist vor lauter Containern das Schiff selbst kaum noch zu sehen. Mit ihren über 19.000 TEU nimmt die für 140 Millionen US-Dollar gebaute „Oscar“ mehr Ladung auf als jedes andere Schiff und bestätigt damit einen Trend in der globalen Handelsschifffahrt. „Die Prognosen haben sich bestätigt. Unsere Kunden laufen unsere Containerhäfen mit immer größeren Schiffseinheiten an. Mittlerweile steht bereits der Bau von Containerschiffen mit Transportkapazitäten von 22.000 TEU kurz vor der Beauftragung. Wir erwarten, dass dieser Trend anhält“, erklärt Emanuel Schiffer, Vorsitzender der Eurogate-Gruppengeschäftsführung. Auch die MSC Oscar, im Januar in der südkoreanischen Werft Daewoo Shipbuilding and Maritime Engineering (DSME) getauft und nach alter MSC-Familientradition nach dem Sohn des amtierenden Präsidenten, Diego Aponte, benannt, ist nur das erste von mehreren Schwesterschiffen derselben Kategorie, die 2015 und 2016 vom Stapel laufen werden.
„Ein Kapitän sitzt nie“, lernen die Landratten auf der Brücke des Schiffes
Kapitän Giuseppe Siviero betritt die Brücke, ein eher kleiner, schmaler Mann von 58 Jahren im schicken blauen Zweireiher, den die Glückwünsche und der Presserummel um ihn und sein Schiff erst etwas zu überraschen, dann eher zu amüsieren scheinen. „Es ist schon ein besonderes Gefühl, ein so großes Schiff zu fahren“, gibt der Italiener artig, aber mit verschmitztem Lächeln zu Protokoll. So besonders scheint das für einen erfahrenen Kapitän wie ihn dann doch nicht zu sein. Als Willkommensgeschenk gibt es das Wilhelmshavener Stadtwappen und einen „Seemannszwerg“, die maritime Variante des Gartenzwergs. „Der heutige Tag gleicht der Verleihung eines Oscars – auch das ist schließlich ein Preis, der für harte Arbeit und Anstrengungen verliehen wird“, kommentiert Wirtschaftsminister Olaf Lies die Übergabe, bevor der Fototermin ansteht. Als die Journalisten Giuseppe Siviero bitten, sich in einen der zwei dunklen Ledersessel auf der Brücke des Schiffes zu setzen, um ihn zu porträtieren, schwingt Entrüstung in seiner Antwort mit: „Ein Kapitän sitzt nie!“, lernen die Landratten. Ein Lächeln also für die Kameras, dann muss auch Giuseppe Siviero zum großen Empfang im Terminal House von Eurogate.
Dort feiern im großen, lichtdurchfluteten Atrium mit Blick auf das weitläufige Hafengelände einige Hundert Gäste die Ankunft der MSC Oscar als einen besonderen Tag für Wilhelmshaven und den JadeWeserPort. Es gibt Häppchen und Getränke, Musik und Ansprachen. Olaf Lies betont erneut die Symbolwirkung des Halts für den Hafen und den Stellenwert über die Region hinaus. Auch Eurogate-Chef Emanuel Schiffer freut sich, dass Wilhelmshaven jetzt in das Netzwerk der deutschen Überseehäfen eingebunden ist. Vorher hat er aber bereits auf die wichtigen Aufgaben für die Zukunft verwiesen. „Jetzt müssen wir für Ladung sorgen. Die Arbeit für MSC und Eurogate fängt jetzt erst an.“
Foto: GENIUSSTRAND.DE
Quelle: TIEFGANG#1