Im Notfall auf See müssen viele zusammenwirken – Schiffe und Stellen an Land. Doch diese überlebenswichtige Hilfe zu koordinieren ist schwierig. Seenotretter bekommen dafür ein besonderes Training.
Die Aufgabe: Vier Seenotrettungskreuzer sollen im Verband ein Seegebiet bei der Nordseeinsel Helgoland absuchen. «Helgoland-Ost ist eure Bezugstonne», sagt Trainer Arne Schnabel. Eine Kabellänge (185 Meter) Abstand zwischen den Schiffen! Und die Rettungskreuzer sollen schon in der vorgegebenen Reihenfolge im Suchgebiet ankommen. «Also prescht nicht gleich los!»
Minuten später hocken vier Dreierteams in ihren Steuerständen – allerdings nicht auf echten Seenotrettungskreuzern, sondern in engen, dunklen Kammern. Drei große Monitore zeigen den Hafen von Helgoland – mit grober Grafik wie in einem älteren Videospiel. In einem einzigartigen Simulator in Bremen trainiert die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) ihre Einsatzkräfte für Notfälle auf See, wenn mehrere Schiffe zusammen helfen müssen.
Auf der simulierten Brücke der «Herrmann Rudolf Meyer» sitzt Norman Peters am Ruder. Die Navigation übernimmt Tom Lange, den Funkverkehr mit den anderen Schiffen führt Matthes Lange. An der Simulation nehmen auch die «Hamburg», die «Anneliese Kramer» und die «Harro Koebke» teil. In Wirklichkeit sind die vier Kreuzer von Borkum im Westen bis Sassnitz im Osten stationiert – sie würden einander auf See kaum begegnen.
Die «Herrmann Rudolf Meyer» läuft virtuell aus. Aus dem Lautsprecher tönt das ruhige Blubbern der Dieselmaschine. Die simulierte See ist ruhig. Trotzdem bewirkt die leichte Dünung auf den Monitoren, dass man sich in der Kammer fester auf den Boden stellt. Die Orientierung zwischen den rot-weißen Schiffen ist nicht so einfach. «Dass die auch alle gleich aussehen!», stöhnt Tom Lange. Und dann solle man ja auch noch «ein bisschen gucken, ob da einer im Wasser schwimmt».
Manöverkritik
Die Schiffe laufen parallel zwei Seemeilen nach Süden. Dann geht es ein Stück nach Westen, Kurs 270 Grad, darauf wieder nach Norden, Kurs 000. Trainer Schnabel bricht ab und ruft zur Manöverkritik. Die Abstände seien nicht immer ideal gewesen. Die «Hamburg» hat sich bei der Anfahrt wilde Schlenker geleistet. «Seemännisch war das echt nichts.» Trotzdem ist er zufrieden: «Für die erste Übung war das schon eine ganz schöne Nummer.»
Das Team auf der «Herrmann Rudolf Meyer» hat sich gut geschlagen. Die drei und die anderen Kursteilnehmer durchlaufen seit April eine zweijährige Qualifizierung für festangestellte Seenotretter. Dazu gehört der Simulatorkurs Suchen und Retten (Search and Rescue/SAR).
Nächste Stufe wäre ein Kurs als Einsatzleiter vor Ort (On-scene Coordinator/OSC). Der Industriemechaniker Tom Lange ist freiwilliger Seenotretter auf der Ostsee-Insel Poel und wechselt nach Helgoland. Der Schiffsmechaniker Matthes Lange geht als Maschinist auf die Station Darßer Ort/Prerow an der Ostsee.
Norman Peters war Freiwilliger auf der Nordseeinsel Amrum; dort wohnt er mit Frau und zwei Kindern und wird auf der dortigen Station bleiben. Den beruflichen Wechsel habe er mit seiner Frau «bis ins Detail besprochen, weil sie ja zustimmen musste». Künftig wird sein Leben so aussehen: Zwei Wochen Wache an Bord, zwei Wochen frei. Bei der spendenfinanzierten DGzRS sorgen 180 festangestellte und 800 freiwillige Seenotretter für Sicherheit. 400 Menschen wurden 2022 aus Seenot oder sonstiger Gefahr auf dem Meer gerettet.
Die Ausbildung am Simulator gebe es bei der DGzRS seit 1995, sagt Kursleiter Benedikt Steffensen. Die Anlage ist eigentlich ein Schiffsführungs-Simulator, wie er auch in der nautischen Ausbildung eingesetzt wird. Die Besonderheit ist, dass bis zu fünf Schiffsbesatzungen miteinander üben können. «Wir lernen hier Kommunikation und Organisation», sagt Steffensen. Digital ließen sich solche Schiffsverbände leichter organisieren als auf See.
Deshalb müssen auf den Monitoren nicht unbedingt Wellenberge über den Bug hereinbrechen. «Wir können das Wetter beliebig schlecht machen, wir können auch die Sicht beliebig schlecht machen», sagt der Kursleiter. Doch Übungsziel sei das abgestimmte Agieren der Schiffe, die Kommunikation mit der Rettungsleitstelle in Bremen, mit anderen Behörden, mit eingesetzten Hubschraubern. Bei Rettungsaktionen auf See müssten manchmal sehr verschiedene Schiffe koordiniert werden – schnelle Kreuzer wie langsame Jachten oder Fischkutter. Auch das müsse ein Einsatzleiter können.
Das Simulatorzentrum der DGzRS-Zentrale
Jährlich finden rund 50 Kurse im Simulatorzentrum der DGzRS-Zentrale statt, an denen 500 bis 600 Personen teilnehmen. Auch Marineflieger, Lotsen, Vertreter von Wasserschutzpolizei oder Bundespolizei werden geschult. «Wenn man selbst in die Lage kommt, Seenotfälle zu koordinieren, ist es wertvoll zu wissen, wie die Mechanismen sind», sagt Wolfgang Thos als externer Absolvent. Die Übungen in Bremen seien «schon ziemlich fordernd», meint der Hafenlotse für Emden und Papenburg. Nebenbei lerne man die Menschen aus anderen beteiligten Stellen persönlich kennen, die man oft nur aus dem Funk kenne.
Die vier Seenotretter-Teams bekommen eine neue Aufgabe; Einsatzgebiet ist diesmal die Ostsee vor Grömitz. Wieder wird im Verband gefahren.
Die Kontrollbildschirme des Trainerteams zeigen, dass das nun schon viel besser klappt. Auf einmal löst Schnabel Alarm aus: «Hier ist Bremen Rescue» – ein Kitesurfer werde vermisst und treibe von der Küste ab. «Die Farbe des Kites: Weiß-Grün-Gelb.»
In vier Kammern wird umgesteuert, in neuer Formation beginnt die Suche. Lange passiert nichts, es geht auf die Mittagszeit zu. Da wirft Schnabel mit einem Mausklick den Kitesurfer ins Wasser. Wenige Minuten später kommt von der «Harro Koebke» das Signal, dass er gesichtet ist. Am dichtesten dran ist die «Herrmann Rudolf Meyer», und sie rettet den treibenden Sportler aus seiner virtuellen Seenot.
Quelle: dpa