„Vier Monate auf See, zwei Monate Urlaub im Wechsel – das reichte irgendwann“, sagt der Oldenburger Stephan Müller, der schon im Alter von 16 Jahren zur See gefahren war. Gemeinsam mit zwei Geschäftspartnern leitet der 30 Jahre alte Diplom-Ingenieur für Nautik nun ein Sachverständigenbüro für maritime Beratung. Hier lesen Sie den Artikel aus der Wilhelmshavener Zeitung:
Wie der Anfang eines Abenteuerromans liest sich Stephan Müllers Start ins Berufsleben. Schon mit 16 Jahren fuhr der Oldenburger zur See – als Decksjunge auf einem Motorschiff namens „Hera“. Dort erledigte er die Aufgaben, für die in den Geschichten traditionell der Leichtmatrose oder ein Smutje herhalten muss: putzen, festmachen, Kaffee kochen. Für einen 16-Jährigen kam er viel rum: Die „Hera“ war auf der Nord- und Ostsee, in England, Schweden und Frankreich unterwegs.
Dabei sollte es nicht bleiben. Müller machte Abitur, ging auf die Jade Hochschule in Elsfleth, schloss als Diplom-Ingenieur für Nautik ab. Er fing bei der deutschen Schwergut- und Feederschiff-Reederei Beluga an, wechselte 2010 zur Bremer Reederei Harren und Partner. Schwergut – dazu zählen wuchtige Industriebauteile ab 100 Tonnen, Zeppeline, Schleusen, Schwimmdocks und ganze Schiffe. Jetzt ist Stephan Müller gerade mal 30 Jahre alt und sesshafter geworden. „Vier Monate auf See, zwei Monate Urlaub im Wechsel – das reichte irgendwann“, sagt Müller. Zumal er und seine Frau 2012 ihr erstes Kind erwarteten. Das vertrug sich nicht mit langen Reisen nach Asien und Afrika. Manchmal konnte er nur zehn Minuten pro Woche nach Hause telefonieren. „Damals habe ich darüber nachgedacht, wo die Reise hingehen könnte.“
Schon während der Arbeit für Beluga hatte Müller sich neben seinem Job während des Landurlaubs weitergebildet. Über Braker Kontakte lernte er den Kapitän Karl Heinz Kronisch kennen. Zunächst arbeitete Müller freiberuflich – finanziert durch eine Förderung der KfW-Bank – für Kronisch’ Sachverständigenbüro für maritime Beratung und einige eigene Kunden. Schließlich bot Kronisch ihm an, das Unternehmen weiterzuführen, mit dem Geschäftspartner Dieter Reichelt.
2014 gründeten die beiden die GmbH „KMR-Survey“, wobei KMR für Kronisch, Müller und Reichelt steht. Finanziell überbrückten sie die erste Zeit durch Privatanlagen. „Man braucht drei Monate Reserve, um durchs Nadelöhr zu kommen“, erklärt Müller. Das Öhr ist die Zahlungsfrist und die liegt in der Branche nicht immer bei zwei Wochen, sondern bei bis zu drei Monaten. Wie viel Reserve man brauche, hänge vom eigenen Lebensstandard ab. Große Investitionen seien für den Start nicht nötig gewesen. „Wir brauchen Laptop, Messgeräte und Köpfchen – und ganz wichtig ein Handy.“ Sie sind nun ein Team von sechs Leuten, würden gern ein mittelständisches Unternehmen mit rund zehn Leuten werden.
Maritime Beratung klingt harmlos, aber ihre Aufträge haben Gewicht. Eine 3000 Tonnen schwere Bohrinsel mit 80 Meter hohen Türmen muss von Rotterdam nach Vera Cruz in Mexiko transportiert werden. Wie soll das gehen? Stephan Müller hat die Lösung: Ein tauchfähiges Schiff muss her. Das geht unter Wasser und Schlepper ziehen die Bohrinsel über das Deck. Jedenfalls kurz und knapp erklärt. Schaut man genauer hin, ist so ein Auftrag ein heikler Balanceakt. Manchmal stehen Werte von mehreren Hundert Millionen auf dem Spiel.
Müller und seine Kollegen tüfteln aus, wie und wo die Bohrinsel befestigt wird, gestalten die Reiseroute mit und verfolgen den Wetterbericht. Bei neuen Manövern ziehen sie Kapitän Kronisch zu Rate, der als Senior-Sachverständiger über einen großen Erfahrungsschatz verfügt.
Neben Schwerguttransporten ist KMR bei Unfällen und Ladungsschäden für Versicherungen im Einsatz – etwa bei dem Containerschiff Maersk Karachi in Bremerhaven, auf dem im Mai ein Feuer ausbrach. Oder bei Schiffen, die im Hafen gegen eine Kaimauer prallen, was gerade in Bremerhaven des Öfteren passiere. Vor Schiffsreisen dokumentieren sie den Ist-Zustand von Ladung und Schiff, zählen die Ladungen und halten fest, wie viel Brennstoff ein Schiff unterwegs voraussichtlich verbrauchen wird. Wenn es zu Schäden oder höherem Verbrauch kommt, prüfen sie, was vorgefallen ist.
Neben technischem Wissen komme es auch auf Kommunikation und interkulturelles Verständnis an, erklärt Müller und nennt einen großen Vorteil seiner jetzigen Arbeit: Trotz gelegentlicher Nachteinsätze im Hafen, etwa, wenn ein Schiff gegen ein Pier gelaufen ist, ist er schneller bei seiner Familie in Oldenburg.
Quelle: Wilhelmshavener Zeitung
Foto: © KMR-Survey